Brügge sehen... und schlafen?

Brügge sehen und… schlafen? 2019-02-05T23:16:23+00:00

Brügge sehen und… schlafen?!

Welche Dinge sind des Mannes beste Busenfreunde? Abseits von, nun, Busen, sind dies bestimmt Bars und Bier – und beides gibt es zuhauf wo? Genau, im belgischen Brügge. Und eben weil Männer allem Anschein nch also alles mögen, was mit dem Buchstaben“B“ beginnt, dürfte nun klar sein, dass sich ein Besuch der am besten erhaltenen mittelalterlichen Stadt Europas vor allem für reisebegeisterte – männliche – Blogger eignet, denen wohlklingelde Allitarationen im Einleitungstext ihres Blogbeitrags von immenser Bedeutung sind.

Bevor es nun aber an den faszinierenden Vier-Tage-Reisebericht geht, möchte ich euch wie immer einige wesentliche Grundinformationen übermitteln, ohne die dieser wahrlich anspruchsvolle Reisereport kaum verständlich – oder zumindest nicht erheiternd – wäre. Also, hier die Faktenlage vor Reiseantritt.

  • Fakt 1: Nach einem sehr stressigen Jahr 2018 genehmigte ich mir direkt zu Anfang des neuen Jahres 2019 einige freie Tage und beschloss, einen Städtetrip zu unternehmen. Ihr wisst schon, Kultur und so ein Gedöns.
  • Fakt 2: Ich schlafe nicht. Niemals. Nirgends. Und schon gar nicht in der Nähe oder unter Beobachtung anderer Menschen.
  • Fakt 3: Laut Wetterbericht, klimatologischen Untersuchungen und wissenschaftlichen Auswertungen von erfahrenen Wetterkundlern sollte es in Brügge auf gar keinen Fall regnen während meines Aufenthalts.
  • Fakt 4: Als Studienabbrecher des Fachs Geschichte habe folgerichtig große Schwierigkeiten, die Bedeutung historischer Persönlichkeiten für unsere Gegenwart einzuordnen, und bin zudem so gar nicht imstande, bedeutende Menschen unserer Zeit überhaupt zu identifizieren.

Warum all diese Informationen immens wichtig sind, möchtet ihr dieser Geschichte folgen, werdet ihr schon bald erfahren!

Allein war ich übrigens auch auf diesem Trip nicht unterwegs. Mit dabei war dieses Mal Joanna – die wie Micha, der euch besser als polnischer Pistenpirscher bekannt sein dürfte – übrigens auch polnische Wurzeln besitzt. Ist da bei mir etwa ein Muster in der Auswahl meiner sozialen Interaktionspartner zu erkennen? Besitze ich eine ungeahnte Verbindung nach Pommern und Schlesien oder hat mich Frédéric Chopin mit seinen Kompositionen einer polnischen Gehirnwäsche unterzogen? Aber wahrscheinlich ist dies der falsche Zeitpunkt, dieser Frage nachzugehen.

Ausführlicher möchte ich meine Reisebegleitung in diesem Fall, wie ich es ansonsten üblicherweise mache, aber vorerst nicht vorstellen. Ihr dürft euch eurer eigenes Bild machen, denn kuriose und ungeheure Anekdoten über meine wunderschöne Begleitung wie auch über Menschen aller Couleur, die auf diesem Trip meinen Weg kreuzten, habe ich auch in diesem Fall, wie gewohnt, im Gepäck. Na, dann beginne ich mal – um im Bild zu bleiben – mit dem Auspacken.

Alle Wege führen – irgendwie – nach Brügge

Direkt zu Anfang meiner kleinen Geschichte sei erwähnt, dass wir unsere Reise bereits am 02. Januar starteten. Nach einem geselligen und gewohnt feucht-fröhlichen Abend im schicken Silvesterambiente einer Lübecker Bar beschlossen wir, die 8-stündige Autofahrt um 5 Uhr morgens anzutreten, um zeitig in Brügge anzukommen, immerhin hatten wir circa 700 Kilometer an Fahrstrecke abzuspulen.

Nachdem ich mit meinen, wie allgemein bekannt ist, extremen Schlafstörungen von Silvester auf Neujahr nur 15 Stunden ohne Pause ge- und obendrein auch noch den gesamten 01. Januar verschlafen hatte, stand ich verständlicherweise missmutig und völligst genervt in der Nacht vom 02. Januar auf den 03. Januar um 4 Uhr morgens auf. Da dürfte es nicht wundern, dass Joanna, die es aufgrund meiner geräuschvollen Schlafmelodie mit dumpfer Bassakustik auf schätzungsweise zwei Stunden Schlaf brachte, die gesamten acht Stunden Autofahrt allein absolvieren musste – irgendwo muss auch ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit vorherrschen!

Nachdem wir nach dem Aufstehen also: den Müll rausbrachten, die Wohnung grundreinigten, den Geschirrspüler anstellten, die Weihnachtsdeko verstauten, Fenster und Duschkabine bzw. Küche und Bad von Wasserflecken befreiten, Joanna ihre Tasche packte, sich schminkte, die Tasche zu Ende packte, Daunendecken ausschüttelten, die letzte Zahl von Pi errechneten, das Paradoxon um Schrödingers Katze auflösten und wir auch andere immens wichtige Dinge erledigten, ohne die man seine Wohnung keinesfalls drei Nächte unbeaufsichtigt zurücklassen sollte, fuhren wir mit nur 2-stündiger Verspätung rechtzeitig los, Zeitmanagement und Priorisierung sind eben die Basis für einen reibungslosen und stressfreien Start in den Urlaub! Dass wir nach einer langen Reise von 150 Metern nochmal umkehren mussten, weil meine Begleitung ihre Sonnenbrille vergessen hatte, soll hier nur eine rhetorische und somit eigentlich überflüssige Randnotiz bleiben, mit der diese Geschichte um wirklich keinen Deut vorankommt!

Die Fahrt verlief dann erfreulicherweise ohne nennenswerte Vorkommnisse. Eifrig diskutierten wir aber über das Wetter. Als von Natur aus eher skeptisch eingestellter Mensch wollte ich der Wettervorhersage, die uns regenfreie Tage in Brügge garantierte, nicht vollends mein Vertrauen schenken. Die erfahrene Meteorologin an meiner Seite versicherte mir jedoch, dass ich mir absolut keine Sorgen machen müsse – auf ihre Wetter-App sei vollends Verlass und uns erwarte so viel Sonnenschein, wie es der Wintermonat Januar nur zuließe. Meine Sorgen waren somit dahin!

Erfreulicherweise htten wir mit dem Verkehr überhaupt gar keine Probleme. Nach dem deutschen Autobahn-Baustellen-Wirrwarr konnten wir geruhsam durch die Niederlande und Belgien düsen – dank GPS und Google-Maps heutzutage natürlich ohne Irrwege. Obwohl – so ganz korrekt ist dies dann doch nicht. Denn die topfitte Fahrerin, die erst lächerliche sieben Stunden fuhr und sich mehr und mehr über einen unangenehmen Druck auf ihren Podex beschwerte, wofür ich natürlich überhaupt kein Verständnis aufbrachte, riss urplötzlich das Lenkrad um und überquerte mit einem tollkühnen Manöver die vierspurige und überfüllte Autobahn im diagonalen Kamikaze-Stil, ohne dass ich als Wegweiser auch nur irgendeinen Hinweis auf eine notwendige Richtungsänderung gab. „Hier geht es nach Brügge!“, kommentierte Joanna das Schreckenszenario relativ lapidar, doch apodiktisch und völlig unbeeindruckt von Gevatter Tod, der aufgrund unseres Überlebens nun traurig und ohne unsere Begleitung kehrtmachte gen Heimat. Wir sehen uns aber bestimmt nochmal wieder, hoffentlich aber nicht in allzu naher Zukunft.

Aufgrund akuter Schnappatmung verkniff ich mir einen Kommentar zu der surrealen Begebenheit zuvor, doch als wir uns Brügge näherten und die ersten Sonnenstrahlen plätschernden Regentropfen wichen, riskierte ich einen schüchternen Blick auf die Fahrerseite, wo mir mit leicht zornigem Blick unmittelbar entgegnet wurde, wir seien ja noch zahlreiche Kilometer von Brügge entfernt, ich möge ja die Klappe halten und die aktuelle Wetterlage würde nichts, aber auch rein gar nichts über die Witterungslage an unserer Destination verraten. Ich gab mich – vorerst – mit dieser Drohung, ähm, Erklärung zufrieden und erklomm den Gipfel der Zufriedenheit, als wir endlich munter und gesund die Altstadtinsel Brügges befuhren und unser Hotel mit reichlich Tatendrang und Erkundungslust erreichten – und dies tatsächlich auf trockenem Boden. Wer schreit und sich auf Wetter-Apps verlässt, hat am Ende wohl doch immer recht.

Ein Zimmer in ruhiger Lage, bitte!

Umgehend nach der Ankunft im Hotel NH Brügge war ich gespannt wie der berühmte Flitzebogen, welch Zimmer uns das altehrwürdige Hotel mit nahezu einwandfreiem Google-Rezensionsprofil zugedacht hatte. An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich bereits im Dezember, also einige Wochen vor unserer Ankunft, mit dem Hotel in Kontakt getreten war, um etwaigen unverhofften Ereignissen mit Planungseifer entgegenzutreten. Insbesondere ging es mir dabei um die Garantie, ein ruhiges Hotelzimmer zu erhalten – ohne trampelnde Kleinkinder, betrunken gröhlende Jugendliche oder schnarchende Senioren im Nebenzimmer – es sollte ja ein geruhsamer Erholungsurlaub werden.

Kontakt hatte ich mit dem Hotel über E-Mail und Telefon aufgenommen. Nachdem mein betont freundlich formulierter digitaler Brief aber allem Anschein nach dem Kunden-/Gäste-Spamfilter des Hotels zum Opfer fiel, hatte ich mich Mitte Dezember auch telefonisch mit der Hotelrezeption in Verbindung gesetzt. Der erste Anruf blieb aber leider erfolglos, da mich die übermotivierte Rezepetionistin nach dem Satz „Hello, I have a request concerning my room reservation.“ unaufgefordert und wortlos an die Zentrale weiterleitete, und so rief ich unbeirrt, wenn auch leicht verwirrt und meiner Schul-Englischkenntnisse gar nicht mehr so sicher einige Tage später nochmals im Hotel an.

Glücklicherweise fühlte sich dieser Rezeptionist nicht nur seiner Repräsentativfunktion verpflichtet, sondern stieg zu meiner Verwunderung gar auf einen Wortwechsel in deutscher Sprache mit mir ein. Ich bat also dieses Mal recht konkret darum, ein Hotelzimmer in „ruhiger Lage“ zugewiesen zu bekommen. Der Rezeptionist versicherte mir, im NH Brügge sei nun wahrlich jedes Zimmer ruhig und um Lärm geschweige Lärmbelästigung bräuchte ich mir wirklich, nun also so wirklich überhaupt gar keine Sorgen zu machen. „Das ist ja klasse“, dachte ich mir.

Nach dem reibungslosen Check-in machten wir uns also umgehend auf den Weg in Richtung Hotelzimmer, nein, in meine persönliche Oase der Ruhe und Entspannung. In den dritten Stock trieb es uns, und so hatten wir Gelegenheit, bereits einen ersten Eindruck von unserer Residenz zu gewinnen. Zwar wunderten wir uns ein wenig, warum meterhoch getürmte Tabletts mit alten Frühstücksresten im Raum mit dem „Ice Cuber“ gelagert wurden, der allem Anschein nach wohl nicht für die Augen von Hotelgästen bestimmt war, insgesamt fiel unser erstes Fazit aber positiv aus. Fraglich war allerdings, warum unser „ruhiges Zimmer“ weder ganz oben noch am Gangende gelegen war. Stattdessen fanden wir unser Zimmer direkt in der Gangmitte des mittleren Stockwerks vor – oben, unten und auch zur Seite flankiert von Touristenfamilien mit stimmgewaltigen Nachwuchs, asiatischen Großfamilien und russischen Aktivisten.

Aber immerhin das Zimmer an sich machte auf den ersten Blick einen ordentlichen Eindruck und allem Anschein nach hatte man uns sogar einige historische Rätsel über das Interieur hinterlegt, damit auf keinen Fall Langeweile aufkommt. Eifrig diskutierten wir so beispielsweise über die staubbesetzte Gardinenstange – ohne Gardine – über unserem Bett und versuchten zu ergründen, welche geheimnisvolle Funktion das barocke Übrigbleibsel wohl habe.

Noch surrealer wurde es nur in unserem Bad, dessen eigenwillige Besonderheiten Joanna aphoristisch wie folgt zusammenfasste: „Wenn du weder ein Spiegellicht bzw. überhaupt eine Sicht noch Tücher oder eine Toilettenspülung brauchst, dann wäre dies das perfekte Bad.“ Bei aller Kritik waren wir aber natürlich zufrieden, denn zur Brügger Stadtmitte war es lediglich ein Fußmarsch von 10 Minuten. Und am Ende zählt für mich nicht, wie du wohnst, sondern mit wem du wohnst – und da durfte ich mich nun sicher nicht beschweren.

Eine schaurig-schöne Stadt in Mordeuropa!

Das große Rätselraten verschoben wir dann aber doch auf einen späteren Zeitpunkt und wir machten uns vorerst auf, Brügge in der Dämmerung erstmalig mit eigenen Augen zu bestaunen. Etwas überrascht waren wir allerdings von den drängelnden Menschenmengen, die wir während unseres Aufenthalts eigentlich gar nicht erwartet hatten – aber sei es drum, wir ließen uns den ersten Urlaubstag nicht vermiesen, auch weil wir Groß und Klein, Jung und Alt auf dem Fußwege ganz einfach über einen Fußmarsch auf der Straße überholten.

Ganz im Gegensatz zu ihren Aufenthalten in Südamerika und vor allem Südeuropa, so versicherte mir die Globetrotterin Joanna nämlich kurzerhand, bräuchte man in Mordeuropa keine Sorge haben, einfach überfahren zu werden. (Sie streitet bis heute ab, Mordeuropa gesagt zu haben. Ich bin hingegen sicher, mich nicht verhört zu haben., Anm. d. R.)

Wir steuerten über die Zuidzandstraat schnurstracks auf den Marktplatz zu, wo der imposante Brügger Belfried bereits spöttisch auf uns niederblicken sollte. Vorab machten wir jedoch einen kleinen Abstecher zur St. Salvator-Kathedrale, wo Joanna aus dem Staunen kaum noch herauskam. Doch es war nicht die friedliebende Atmosphäre der Kirche, auch nicht die pittoreske Wandverzierung oder das seelenruhige und gleichmütige Orgelspiel, das die Katholikin faszinierte und sie völlig vereinnahmte.

Nein, es waren die Fahrradständer vor der Kathedrale, die so intuitiv und technisch fortschrittlich konstruiert und angeordnet waren, dass eine 10-minütige Hasstirade, getarnt als Dialog mit mir, folgte, die sich wohl an die „sch*** Politiker und die fu***** Bürgerschaft“ in unserer Heimatstadt richtete, die es „einfach nicht gebacken kriegen“, einmal Geld für etwas Sinnvolles in die Hand zu nehmen, anstatt es „****** in ****  und **** zu stecken.“ Oder um es in anderen Worten zu sagen: Brügge war unserer Heimatstadt technisch und infrastrukturell allem Anschein nach weit voraus.

Einzigartige belgische Pommes

Von der Sehenswürdigkeit Fahrradständer ging es dann also doch endlich weiter zu den tatsächlichen Wahrzeichen und historisch bedeutenden Stätten von und in Brügge. Da wir uns während der Fahrt und auch im Hotel bislang noch nicht hatten stärken können, lag es nahe, auf dem Brügger Markt nach Speis und Trank Ausschau zu halten. Was könnte es auch Schöneres geben, als im Schutze mittelalterlicher Prachtbauten im Stile von Gotik und Renaissance bis hin zu Romantik und Neoklassizismus eine traditionelle belgische Spezialität zu verköstigen, die man praktischerweise auch noch während des Flanierens verzehren kann?

Auf Anraten eines Freundes ging es also direkt heran an die „Frituur“. Von belgischen Fritten hatte ich zuvor zwar noch nie gehört, doch es geht hier ja auch um das Schmecken. Saftige, kartoffelige Pommes, dick im BBQ-Style erwartete ich mit ausgefallenen Saucen oder Toppings – das sollte lecker werden. An den Frituur-Buden am Markt staunten wir daher nicht schlecht, als uns nicht belgische, sondern asiatische Budenbesitzer sagten, wir hätten die Wahl zwischen folgenden ganz ausgefallenen Pommes-Gerichten: Small, Medium, Maxi. Und als ganz besonderes und exklusives Extra gab es Ketchup oder Mayo. Experimentierfreudige Gaumenexzentriker konnten sogar Pommes mit Ketchup UND Mayonnaise zugleich bestellen. Da wir leider in allen Buden lediglich herkömmliche TK-Pommes vorfanden, mussten wir etwas enttäuscht mit den üblichen langweiligen Wellenschnittfritten aus der nicht ganz so gepflegten Friteuse Vorlieb nehmen.

Doch auch dies und der peitschend-nasse Wind, den ich laut Wetter-App wohl mit Sonnenschein verwechselt haben musste, konnten uns norddeutsch abgehärtete Pragmatiker nicht die Urlaubsstimmung vermiesen. Und so schlenderten wir noch gemütlich, eng umschlungen und somit wohltemperiert durch das sich zur Ruhe bettende Brügge mit seinen verwinkelten Gassen, im Mondlicht schimmernden Reien, kolossalen Mauern und genossen das geschichtsträchtige Ambiente auf dem Weg zurück ins Hotel, wo auch wir im Hotelzimmer – in ruhiger Lage – erschöpft, aber zufrieden zu den lauten sexuellen Schreien einer jungen russischen Dame aus dem Nachbarzimmer einschliefen.

Der okkupierte Frühstückstisch

Als wissensdurstige Städtebummler war uns natürlich bewusst, dass uns in de facto zwei Tagen nicht allzu viel Zeit bliebe, Brügges Geheimnisse zu entdecken. Deswegen nahmen wir uns auch vor, den Tag zeitig zu beginnen und uns noch vor Morgengrauen auf den Weg zu machen. Leider haben wir es gerade noch vor der Mittagssonne vollbracht, zum Frühstück ins Hotelrestaurant aufzubrechen. Warum dies so war, nun, ein Gentleman hüllt sich in Schweigen.

Beim Frühstück trafen wir allerdings noch auf jede Menge Hotelgäste, die es wohl ebenfalls etwas ruhiger angehen lassen wollten und aus einem Frühstück ein Brunch werden ließen. Wie es sich für ein Vier-Sterne-Hotel gehört, wurde uns von der freundlichen Servicekraft auch ein eigener Platz zugewiesen. Wir machten uns somit direkt an das reichhaltige Frühstücksbuffet, gingen zurück zu unserem Platz – und, ja, der war besetzt. Plötzlich erschien mir das Zuweisungssystem doch nicht mehr so ausgereift. Aber jeder erfolgreiche Tag startet bekanntlich mit einem Hindernis – denn ohne Gegner gibt es auch keine Siege.

Nach neuer Platzzuweisung brachte mir Joanna sogar einen Kaffee / einen Becher Milch mit einem Hauch Kaffeearoma mit, ohne den bei mir so gar nichts geht. Leckeres kaltes Rührei aus der Packung, harte Brötchen und trockene Croissants waren für mich dann aber doch zu viel, sodass ich mir nur dreimal einen Nachschlag holte und mit lediglich 3.500 kcal in den Tag starten musste.

Und dann ging es endlich los. „Brügge, wir kommen!“ Für den ersten richtigen Tag stand auf meinem Plan zuerst ein Gang entlang des Rosenkranzkais an. Erfreulicherweise war an diesem Tag aber Verlass auf Wissenschaft und Wetter-App, und anstatt unter grauem Himmel und inmitten nasskalter Winde durchschritten wir die geschichtsträchtigen Straßen unter strahlendem Sonnenschein und blauem Firmament. Einen herrlicheren Tag hätte es im Winter wohl kaum geben können, um Brügges strukturelle Stadtschönheit zu bestaunen. Aufgrund der Menschenmenge verzichteten wir zwar auf eine der berühmten Grachtenfahrten, doch auch zu Fuß gab es allerlei Interessantes wie auch Überraschendes zu entdecken.

Heldenhafte Terroristen – oder terroristische Helden?

Über die ältesten Brücken, die Europa noch zu bieten hat, wollten wir vom Platz für perfekte Postkartenmotive weiter gen Zentrum wandern, verliefen uns dann aber mehr oder minder freiwillig in der Beer Wall, ja, richtig gehört, der Beer Wall. Wer bitte würde dort nicht haltmachen? Wenn mich meine Erinnerung nicht trübt, gab es hier 1915 Biere aus Belgien zu bestaunen – und natürlich auch das Beste vom Besten aller Gerstensäfte zu trinken. Wir machten hier nur einen kurzen Abstecher und liefen weiter mit der festen Absicht, nochmals wiederzukommen, um ordentlich zu saufen – nennen wir das Kind ruhig beim Namen.

Doch vorerst weiter in Richtung Zentrum vorbei an einem charmanten Porzellangeschäft, in welchem wir bei kurzem Aufenthalt handbemalte Spardosen bestaunten, die sicherlich in keinem modern eingerichteten Mädchenzimmer fehlen dürfen. (Da ich sicher bin, dass diese Geschichte gerade „den Mädels“ vorgelesen wird, die an dieser Stelle sofort mehr über diese Produkte erfahren möchten, trete ich nun aus der Diegese heraus und mache jetzt eine Erzähl- und Schreibpause.) Dank der Münzschlitze, die sich grundsätzlich am Ende des verlängerten Rückens der Porzellantiere befanden, war sogar für eine selbstironische Pointe gesorgt: Geld stinkt, trotzdem kann es jeder gut riechen, sollte hier wohl die Botschaft sein. Allerdings habe ich noch nie verstanden, warum Menschen Geld ausgeben, um sich ein Behältnis zu kaufen, mit denen sie Geld wiederum Geld sparen können.

Und schon ging es weiter voran, Schritt für Schritt und Weg um Weg. Joanna hielt noch kurz – und meiner Meinung doch auffällig lange – vor einem aufreizendem Geschäft, das allerlei „Spielzeug“ für abenteuerliche Liebesnächte im Schaufenster feilbot, von denen ich auch mit kühnster Vorstellungskraft nicht hätte sagen können, wie man sie korrekt verwendet. Natürlich habe ich diese Unwissenheit souverän überspielt mit einem „Hä, was is‘ dat denn?“. Dann waren wir aber schon auf dem Brügger Marktplatz angekommen.

Dort fiel uns wenig überraschend unmittelbar das Denkmal der Brügger Stadthelden ins Auge. Jan Breydel und Peter de Coninck thronen noch heute verewigt als monumentale Statuetten inmitten des Brügger Stadtzentrums. Ich erklärte Joanna, vorbereitet wie ich selbstverständlich war, die Bedeutung der beiden Männer für das ehemalige Hansekontor.

Beide führten zu Beginn des 14. Jahrhunderts den als Brügger Frühmette in die Geschichte eingegangenen Aufstand gegen die französische Besatzung an, echte Helden also, buchstäbliche Freiheitskämpfer. Aus etwas anderer Sicht könnte man dies aber auch als Massaker bezeichnen, da zahlreiche französische Soldaten noch während des Schlafens brutal niedergemetzelt wurden. Ich stellte die gewagte These auf, dass zwischen Helden und Terroristen, Freiheitskämpfern und Anarchisten oft nur eines stehe: zeitlicher Abstand.

Ich wollte doch nur ein Kombiticket…. einfach nur…. ein Kombiticket….

Nachdem wir die gewaltbereiten Heldenbilder Brügges verließen, ging es für uns in das unweit der Statuen entfernte Historium, in welchem uns eine ganz besondere Reise in das historische Brügge erwarten sollte. Als kluger Reiseplaner hatte ich die Tickets bereits vorab bestellt – leider. Denn am Eingang sahen wir, dass es kostengünstige Kombitickets zu erstehen gab, die einen Besuch im Historium vergünstigt in Kombination mit einem Ticket für das Groeningemuseum verbanden. An der Kasse fragte ich daher, ob es möglich sei, im Nachhinein noch das günstigere Kombiticket zu erhalten. Das Gespräch lief in etwa wie folgt ab:

Ich: „Hello, is it possible to buy a combi-ticket afterwards when I have already bought a ticket for the Historium?“

Kassiererin: „But you already have a ticket for the Historium?!“

Ich: „Yes, that is why I asked if it was possible to get a combi-ticket afterwards.“

Kassiererin: „So, you want a ticket for the Groeningemuseum, do you?“

Ich: „No, I would like to have a combi-ticket.“

Kassiererin: „But you already have a ticket for the Historium.“

Ich: „Yes, that’s why I asked for the possibility to get a combi-ticket – even though I already have a ticket for the Historium.“

Kassiererin: „I can give you tickets for the Historium and the Groeningemuseum.“

Ich: „And that’s the combi-ticket then, isn’t it?“

Kassiererin: „No, you already have a ticket for the Historium.“

Aus Angst, in einer kommunikativen Endlosschleife gefangen zu sein, verließ ich den Kassentisch wortlos und auf ging es durch unsere interaktive Rundreise durch die Brügger Geschichte. Das Historium in Brügge zu besuchen, kann ich übrigens jedem Besucher empfehlen. Gang für Gang durchschritten wir Räume, von denen jeder einzelne detailgetreu nach historischem Vorbild eingerichtet war. Begleitet wurden wir von bewegten Bildern, denn unsere informative Rundreise war eingebettet in einen Film, dessen Szenen in exakt den Räumlichkeiten spielten, die wir soeben durchschritten. So waren wir nicht nur dabei, sondern buchstäblich mitten drin, und lernten Brügges Historie hautnah kennen.

Insgesamt war dieses Erlebnis sehr kurzweilig, für unser Empfinden aber doch mehr kurz als weilig. Nichtsdestotrotz können wir einen Besuch jedem empfehlen. Wer allerdings auch ins Groeningemuseum gehen möchte, sollte die Tickets vor Ort und nicht online kaufen. Eine nachträgliche Umwandlung der Karte in ein Kombiticket ist nämlich – glaube ich zumindest – nicht möglich. Vielleicht drücke ich mich aber auch einfach nur sehr unverständlich aus.

Unter der Brücke schlafen – am besten für immer!

Nach dem Historium entschieden wir uns dafür, den anderen großen Platz neben dem Groeninger Markt zu besuchen: den Burg-Platz. Leider war auf diesem Platz aber was nicht zu sehen? Genau, eine Burg. Die gab es zwar früher einmal, wurde im Laufe der Zeit aber abgerissen. Heute finden auf dem Platz noch Konzerte oder ähnliche Veranstaltungen statt. Interessant ist der Platz aber auch aus architektonischer Sicht, denn hier tummeln sich viele verschiedene kunsthistorische Baustile Mauer an Mauer, sodass sich insgesamt ein hervorragendes Panorama für einen erinnerungswürdigen Schnappschuss ergibt.

Allerdings entdeckten wir in einer etwas abgelegenen Ecke einen kleinen Durchgang, durch welchen wir direkt zum Brügger Fischmarkt gelangten, wo – üblicherweise – Fisch angeboten wird. Dieser kleine Marktplatz entstand übrigens aus der Not heraus, denn die vielen Fischer wurden vom Groeningermarkt verbannt. Fisch stinkt nun einmal. Und so mussten sich die Fischer einen eigenen Verkaufsplatz suchen, der heutzutage trotz des nicht für alle Menschen angenehmen Geruchs häufig von Einheimischen und Touristen frequentiert wird.

Als wir den Platz erreichten, war von Fisch und Fischersleuten aber nicht viel zu sehen. Stattdessen wurden anderweitige interessante Waren feilgeboten, unter denen vor allem ein bescheiden dimensionierter Kunststand in unseren Blick fiel, der uns impressionistische Bilder anzeigte, die hiesige Alltagssituationen im Brügger Milieu ablichteten. Als bekennende Sammlerin von Gemälden regionaler Künstler aus ganz unterschiedlichen Ländern war Joanna umgehend hin und weg und verlor sich sogleich zwischen den verschiedenformatigen Farbkompositionen in überschwängliche Begeisterung – so wie ich übrigens auch.

Die Kunsthändlerin, die Wind und Kälte dem Geruch zufolge mit übermäßigem Alkoholkonsum zu entgegen suchte, informierte uns über den Künstler, ihren Mann, der in Brügge als Professor tätig sei, um angehenden Künstlern aus der Region seinen Malstil zu lehren. Nach eifrigen Diskussionen und nachdem der anfängliche Enthusiasmus einer kühlen Kunstanalyse gewichen war, entschied sich Joanna für das großformatige Gemälde, auf welchem eine der ältesten Brügger Brücken zu sehen war – eine Entscheidung, auf die ich nicht ganz unerheblichen Einfluss genommen habe. „Das würde sich ja prächtig über deinem Bett machen“, erklärte ich und war allem Anschein nach erfolgreich, bis ich bemerkte, dass wir aufgrund meines Vorschlag fortan wohl jede Nacht unter einer Brücke schlafen müssen. Doch ein Glück dominieren in diesem Bild die warmen Farben.

Bella Italia nel bel Belgio!

Mit einem Lächeln im Gesicht und überdimensionierten Gemälde in der Hand wollten wir dann zurück ins Hotel, nicht aber, ohne vorab noch etwas zu essen! Und weil wir nun einmal in Belgien waren, lag es nahe, zum Italiener zu gehen. Gesagt, getan. Glücklicherweise mussten wir gar nicht allzu weit marschieren, bis wir ein kleines, aber durchweg einladendes Restaurant fanden. Das digitale Kaminfeuer, das uns realistische Wärme im temperamentvollen und somit ebenso naturgetreuen italienischen Lokal versprach, zog uns wie von Geisterhand an.

Und so traten wir durch die Tür und wurden – wie zu erwarten war – voller Leidenschaft und Herzenswärme empfangen von einem Manne mit so ganz und gar nicht italienischen Wurzeln. Doch der Lokalbesitzer von augenscheinlich asiatischer Abstammung begrüßte uns in charmantem, gebrochenen Englisch und setzte uns an den romantischten Platz seines Gastronomiebetriebs: direkt neben die Toilette.

Und auch ansonsten überzeugte dieses waschechte italienische Restaurant mit seinem Wohlfühlambiente: Am Nebentisch tummelten sich deutsche Touristen, die sich, wie es ihre Kultur verlangt, ruhig, sittsam und voller Zurückhaltung unterhielten. Dann und wann öffnete sich die Türe, hier und da traten sodann wohlerzogene Jugendliche ein, die, voller Rücksichtnahme, die Türe offen stehenließen, sodass die hart erkämpfte und kuschelige Wärme ihren Weg in die Freiheit fand und einem eisigen Kältezug seinen verdienten Raum verschaffte.

Das Essen wiederum ließ nicht allzu lange auf sich warten und beglückt verspeisten wir frisch aufgetautes Rinderfilet mit – natürlich – waschechten belgischen Pommes, über die ich auch zu jenem Zeitpunkt noch nicht in Erfahrung gebracht hatte, welche unergründliche Besonderheit belgische Fritten nun eigentlich zu belgischen Fritten machte. Nichtsdestotrotz erhielten wir die erhoffte Stärkung und verließen das Lokal gen Hotel.

Die Seniorennavigationshypothese (SNH)

Ja, Moment, da war ja doch noch etwas. Ich hatte ja angekündigt, dass wir doch noch einmal einen Abstecher machen wollten, um uns so richtig die Kante zu geben. Glücklicherweise lag auf unserem Rückweg die bereits angesprochene Beer Wall entlang des Weges – und nach deftiger Speise muss natürlich eines folgen: heftiger Trank. Ganz so ausufernd wie anfangs angestrebt wurde unser Aufenthalt dann aber doch nicht. Wir begnügten uns jeweils mit einem einzigen Glas Bier und entwickelten die sicherlich einmalige und exklusive Idee, auch in Deutschland bzw. unserer Heimatstadt ein Lokal zu eröffnen, welches mit so viel Liebe und Hingabe zum Detail konzipiert sein sollte wie die Bar, in der wir gerade saßen. Wir halten euch dahingehend auf dem Laufenden!

Etwas wehmütig ging es nach dem berühmten Absacker dann aber wirklich ins Hotel, auch wenn ich etwas überrascht war, dass mein in die Jahre gekommener Körper bereits nach einem einzigen Bier die ersten Anzeichen völligen Kontrollverlustes aufwies. Das wertvolle Gemälde in der einen Hand, eine leicht beschwipste Dame im anderen Arm navigierte ich uns aber voller gespielter Selbstsicherheit durch die Menschenmassen, die uns Brügge allem Anschein nach einfach nicht überlassen wollten. Hinzu kam selbstverständlich das neuzeitliche infrastrukturelle Gesellschaftsproblem, welches mittlerweile an jedem Ort der Welt beobachtet werden kann und durch die kleinen autarken Maschinen ausgelöst wurde, die allmählich die Weltherrschaft übernehmen und Menschen zu ihren Sklaven machen. Die Rede ist natürlich von Smartphones.

Dazu sei erklärend angefügt, dass ich praktisch täglich ungebremst auf Menschen aufpralle, die, in voller Schrittgeschwindigkeit vor mir gehend oder fahrend, urplötzlich auf den Lockruf ihres Smartphones reagieren, durch dieses Geräusch allem Anschein nach deaktiviert werden und ohne Warnung stehenbleiben. Nur dem reinen Zufall ist es zu verdanken, dass größere Schäden bei mir bislang ausblieben!

Doch glücklicherweise entdeckte ich direkt vor mir ein richtungsweisendes Element, das mir, wie der Stern von Betlehem den drei Königen, den Weg zur Wiege weisen sollte – bloß dass ich in diesm Fall beabsichtigte, mich selbst in eben jene hineinzulegen. Bei diesem auf den ersten Blick so unscheinbaren Element handelte es sich übrigens um eine kleine ältere einheimische Dame, die sich der Smartphone-Gewaltherrschaft bislang wohl entziehen konnte und sich mit augenscheinlich hasserfülltem Schritt auf die Touristenwelt sowie mit brachialer Ellenbogentaktik den Weg durch die Menschentrauben bahnte und dabei dem ein oder anderen Touristen „die Schulter gab“, wie es Joanna süffisant kommentierte, ohne darauf auf die Anmerkung zu verzichten, dass auch sie in ihrer Stadt gerne Menschen ungeachtet etwaiger Kollateralschäden wegramme, um sich Platz zu verschaffen.

Jedenfalls stellte ich an dieser Stelle die Hypothese auf, dass ein jeder, so er einmal seinen Weg verliere, stets den richtigen Pfad finden werde, gehe er nur mit seinen eigenen, wachen Augen durch die Welt. Denn Orientierung findet man oft dort, wo man diese nicht erwartet – und meist gar direkt voraua. Oder etwas weniger poetisch ausgedrückt: Smartphone aus, Augen geradeaus beim Laufen und Fahren! Aufgrund des soeben erfahrenen praktischen Beispiels nannte ich diese Theorie die Seniorennavigationshypothese (SNH). Zur Validierung sind Studien bereits in Planung.

Ein kleines großes Stück Schokolade!

Ach, natürlich möchte ich nicht die Nacht vergessen, von der es natürlich ebenfalls einiges zu berichten gibt. Klingt komisch, ist aber so. Wie ich ja mittlerweile zugeben muss bzw. über mich selbst erfahren habe, bin ich wohl doch kein Mensch mit Schlafstörungen – obwohl vielleicht ja doch. Nur dass ich eben nicht nicht schlafen kann, sondern übermäßig viel und lange. Umso kurioser erscheint es da, dass ich die vorletzte Nacht in Brügge in meiner von allem und jedem unbeeindruckten Ruhe gestört wurde – oder besser: gestört werden konnte.

Es war wohl gegen 3 Uhr nachts, als mich etwas aus dem Schlaf riss. Erst polterte es, dann schimpfte es, dann gab es ein dumpfes ohrenbetäubendes Geräusch, das höchstwahrscheinlich auch die Gäste des Nachbarhotels aufweckte und in Angst und Schrecken versetzte. Doch was war es? Nein, es waren nicht die Geister von Jan Breydel und Pieter de Coninck, die sich aufgrund diffamierender Worte an mir rächen wollten, es war Joanna, die auf gewohnt zuverlässigen leisen Sohlen im Bad rumturnte, dabei so ziemlich alles an Krimskrams, was auf der Badanrichte stand, auf den Boden riss, sich dreimal an der Tür stieß, fast hinfiel, pöbelte, sich nochmal stieß, dann seelenruhig zurück ins Bett schlich und klammheimlich in völliger Schuldlosigkeit flüsterte: „Habe ich dich etwa aufgeweckt?“

Nun, ich wertete dies als rhetorische Frage und schlief daraufhin glücklicherweise schnell wieder ein, um putzmunter in den prinzipiell letzten Brügge-Tag zu starten. Beginnen sollte der Tag mit einem Besuch im Schokoladenmuseum, das natürlich gerade für Kakaoliebhaberin Joanna eine echte Gaumenfreude werden sollte, anders als für mich, der prinzipiell nicht allzu viel auf Schokolade gibt. Trotzdem erwartete ich vom Besuch die eine oder andere süße Überraschung.

Und die sollte ein jeder von un auch direkt zu Anfang erhalten, denn zur Eintrittskarte obendrauf gab es eine Tafel Schokolade, die wir uns allerdings für später aufheben wollten, was für mich hieß: bis in den ersten Stock. „Naja, ich mag zwar Schokolade nicht so gern und kann davon auf einmal nicht so viel essen, probieren kann ich ja aber mal“, rechtfertigte ich meine spontane Entscheidung. „Ja, probier mal ein Stück“, entgegnete Joanna, drehte sich für zwei Sekunden weg, schaute erneut zu mir und sah mich mit einer leeren Papierpackung in der Hand verwirrt an. „Wo ist denn die Tafel Schokolade?“, wollte sie wissen, worauf ich achselzuckend erwiderte: „Ich sagte doch, ich wolle probieren!“ Etwas beschämt tat ich so, als sähe ich mir eine Infotafel an. Der Rest ist Schweigen und stiller Genuss.

Die flämischen primitiven Meister – bitte nicht anfassen!

Nach dem kurzweiligen Aufenthalt im Museum beschlossen wir, in das nächste Museum zu gehen. Vorab hatte ich aber eine romantische Wanderung geplant durch den Brügger Minnewater-Park, ja, ich hatte da noch so einiges im Repertoire. Der Minnewater-Park versprach uns, so zumindest ergab es meine Recherche, einen Spaziergang durch stilles, verträumtes Land etwas abgelegen vom touristischen Trubel. Natürlich hatte ich vergessen, dass wir uns mitten im Winter befanden. Und so spazierten wir nicht durch blühendes Grün, sanfte Winde und plätschernde Gewässer, sondern eher durch tristes Grau, eisig stürmische Böen und triefend nassen Matsch. Das hatte ich aber echt so richtig gut durchdacht!

Wohl auch dies war ein Grund, weswegen wir nach nur wenigen Minuten kehrtmachten und schnurstracks ins warme Groeningemuseum eilten, wo wir uns etwas näher mit den Flämischen Primitiven beschäftigen wollten, die ersten Meister der Ölmalerei, wobei ich mir bis heute die Frage stelle, warum diese „Meister“ als „primitiv“ bezeichnet werden. Kurioserweise konnte mir auch das Museum darauf keine Antwort liefern.

Ich erwartete nichtsdestotrotz einiges von dieser Kunst, kann man diese doch prinzipiell als Anfang der außerkirchlichen Portrait-Malerei bezeichnen – und somit als eine Art Startschuss für Kunst im eigentlichen Sinne. Endlich im Museum angekommen gaben wir erst einmal unsere Garderobe ab. Meinen Rucksack durfte ich leider nicht mit hineinnehmen, sodass ich diesen in einem Spind verstauen musste. Mit gewohntem Geschickt stopfte ich den Rucksack hinein, riss dabei die Spindtür heraus und pöbelte wild drauflos, worauf mich eine Frau vom Personal jedoch beruhigte und versprach, den Rucksack sicher aufzubewahren, bis wir zurück seien. Also ging es endlich los und wir durchschritten unmittelbar Raum für Raum. Etwas überrascht war ich dann doch, als ich trotz dem Versprechen, Kunst bestaunen zu können, die nicht ausschließlich kirchliche Motive behandelte, circa 80 Mal die Kreuzigung Jesu betrachten musste.

Während ich folglich etwas desillusioniert von Bild zu Bild schritt, vermisste ich urplötzlich meine kunstbegeisterte Begleitung. Diese fand ich vor einem Gemälde wieder, das ohne Zweifel von einem echten Meister gemalt worden sein musste, mir aber trotzdem überhaupt nicht bekannt vorkam. Als ich zum Bild ging, schien Joanna wie gefesselt und es wirkte, als drohte wahre Magie, sie ins Gemälde zu ziehen. Glücklicherweise schritt ein beherzter Aufseher ein und löste den Bann, als Joanna noch circa 25 Meter vom Bild entfernt war, gerade noch rechtzeitig mit den netten Worten: „Please, do not touch the painting!“ Das ging ja gerade nochmal gut, denn das gepanzerte Sicherheitsglas vor dem Gemälde hätte der brachialen Gewalt einer 50 Kilogramm schweren Frau, die sich mit sanftmütigem Blick dem Bild näherte, sicherlich nicht mehr allzu lange standgehalten!

Alsbald darauf endete unsere Tour durch die flämische Malerei bereits und wir verließen das Museum wieder, um uns im Hotel noch für einige Stunden auszuruhen. Am Abend stand nämlich ein Besuch im Parkrestaurant an, worüber ich aber in einem weiteren Post ausführlich berichten möchte – es lohnt sich! Wir holten vorerst aber unsere Garderobe sowie den Rucksack und wollten geradewegs hinausgehen, als uns die Empfangsdame nochmals darauf hinwies, der Spind sei nicht kaputt gegangen und bereits wieder repariert. Und so verließen wir das Groeningemuseum, während auf der Spindtür ein Aufkleber mit der Aufschrift: „In maintenance“ prangerte. Ich habe meine Spuren also auch hier hinterlassen.

Draußen wollte ich von Joanna dann aber doch noch wissen, was sie am Bild, das sie so sehr in den Bann zog, so Besonderes fand. Etwas ungläubig schaute sie mich daraufhin an und erklärte, dies sei doch das Bild Jan van Eycks gewesen, dessen Entstehungsgeschichte wir erst einen Tag zuvor auf der interaktiven Tour im Historium kennenlernten. Tja, ich habe allem Anschein nach so gar nichts in Brügge gelernt und irgendetwas – oder irgendwer – muss mich während der Tour wohl ebenfalls in seinen Bann gezogen haben.

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