Kafkaesk in Prag unterwegs

Kafkaesk in Prag unterwegs 2018-04-11T17:46:35+00:00

Und es geht wieder los! Nach Jahrzehnten der Inaktivität in den Weiten des Internets melden sich die Gipfelstürmer zurück. Dieses Mal treibt es die bärtigen Wüteriche nach Prag, wo es bekanntlich recht kafkaesk zugehen soll, wie ich bereits früh bermerken sollte. Doch fangen wir dort an, wo gewöhnlich alles beginnt: am Anfang.
Gewissermaßen vom Schicksalsgott in eine Welt voller Ironie gestoßen, erwache ich morgens im Bett mit einem Kopfdröhnen, mit Halsschmerzen und einer verstopften Nase, dass ich nicht umherkomme, mich zu fragen, warum mich der körperliche Verfall just in dem Momente ereilt, da ich entschied, mich der so geschätzten privaten Zeit zu widmen. Gut, sei es drum. Nach dem Aufstehen und der der frisch gerösteten braunen Bohne am Morgen besuch ich den polnischen Pistenpirscher.

Dort erfahre ich, dieser hätte seit 24 Stunden nicht geschlafen, da er sein Beilager der letzten Nacht einer holden Maid angetragen hatte. Nun, gut Ding will Weile haben und den Coitus in einem Zeitrahmen von unter acht Stunden zu vollziehen befriedigt bekanntermaßen niemanden – wer benötigt schon Schlaf? Frisch und fröhlich gehen wir also kränkelnd und befriedigt und nichtsdestotrotz frohen Mutes ans Werk und setzen uns in das Auto: Auf geht es nach Prag!
Hier gibt es wahrlich nicht viel zu berichten. Oblgeich ich nicht umhinkomme, von einem gänzlich kurisoen Ereignis zu erzählen, welches sich folgendermaßen zutrug: Nach etwa zwei Kilometern auf der Autobahn gen Osten entscheidet sich der verantwortungsbewusste Michael sich einige Minuten der Ruhe zu genehmigen.

Er friemelt sich ein Kissen zurecht, weist mich mit dem Aufruf „Obacht, übernimm ‚mal kurz das Volant des Kraftfahrzeugs und umkurve sich regende wie auch immobile Hindernisse mit sicherem Lenkgeschick!“ darauf hin, dass er für einen unbestimmten Zeitrahmen keine Verantwortung für etwaige Unfälle übernehme und schläft ein. Angesichts der vier Liter koffeinhaltiger Getränke, die der so verlässliche Anstandsmann innerhalb kürzester Zeit zu sich genommen hatte,

bleibe ich doch etwas verdutzt zurück. Die weitere Fahrt verläuft glücklicherweise ohne Vorkommnisse. Nachdem wir dubiose Örtlichkeiten durchquert hatten, in denen sich Baracke an Baracke, graue Industrie an graue Industrie reihte, fahren wir zentral auf unsere Destination inmitten der Goldenen Stadt zu, die aufgrund der merklich nebeligen Wetterlage aber doch eher an das triste Meckpomm erinnert.

Aber eine Stadt offenbart ihre inneren Werte dem offenen Herzen stets auf dem zweiten Blick. Auf dem Weg zum Hotel darf ich mich sodann selbst überzeugen, welch Lokalität mich hier erwarten dürfte: Drei Sekunden vor dem Hotel auf dem Parkplaztz stehend raunt mich ein sympathisch wirkender Mann mittleren Alters mit Drohgebärden an. Seiner taumelnden Gestalt entnehme ich, dass rascher und ausufernder Alkoholkonsum bis zum Verlust jeglicher Beherrschtheit demnach Usus in der tschechischen Republik sei. Dankend für die Exhibition gehen wir uns erst einmal Bier kaufen.

Im Hotel breiten wir unsere sieben Sachen aus und schmieden Pläne, wie der erste intensive Abend in einer der meistbereisten und kulturträchtigsten Städte Europas zu gestalten sei. Ab zur Prager Burg? Womöglich hält die Karlsbrücke im herbstlichen Sonnenuntergang den einen oder anderen netten Ausblick bereit, der zum Vergessen seiner Alltagssorgen einlädt?

Andernfalls dürfte sich auch ein Rundgang durch die Prager Kneipenlandschaft für trinkfeste Spießgesellen als lohnenswert herausstellen! Kurzum: Nach wenigen Minuten lasse ich meinem Zimmernachbarn, der direkt nebenan einquartiert ist, über das hoteleigene WLAN-Netzwerk mitteilen, dass eine durchweg verlässliche Internetbandbreite nutzbar sei. Schnell schließen wir unsere Laptops an und zocken erst einmal tierisch einen los! So schön kann Prag sein! Was der nächste Tag wohl bringen mag?

Wuhu! Die Nacht ist überstanden und freudig erwache ich mit übelsten Halsschmerzen inmitten der sicheren Prager Innenstadt. Selbst das sekündliche Sirenengeheul der Polizei bei Nacht konnte mir meinen geruhsamen Schlaf und die Illusion von Sicherheit nicht nehmen. Punkt sieben Uhr schreibe ich der Bumskanone Michael, dass es zeitet. Prag will erkundet werden!

Wir treffen beim Hotelfrühstück aufeinander und begutachten uns mit skeptischer Miene. Während ich mit Sack und Pack auf Schnee- bis Sonnen- und Sandstürme vorbereitet bin, überrascht Michael mit einem luftig-lockeren Kurzarmshirt und beweist direkt zu Anfang des Trips, was er vom romantischen Herbstwetter in der tschechischen Hauptstadt so hält.

Beim morgendlichen Schlemmen fällt mir insbesondere die asiatisch geprägte Personenlandschaft auf. Am Tisch nebenan wühlt ein Asiate in Eierschalen herum und baut sich einen Turm aus Gurken. „Andere Länder, andere Sitten“ denke ich mir und stopfe mir zentnerweise Pute und Schinken in den Wanst. So etwas nenne ich deutsche Esskultur!

Als es losgeht, steuern wir direkt auf die Haltestelle der Straßenbahn zu. Mit der 15 fahren wir in Richtung Prager Altstadt. Ausgestattet mit einem „Fahrschein für Senioren“ geht es für uns erfahrene Touristen mit Blick für die besonders preisgünstigen Transportoptionen in die bis zum Überlaufen gefüllte Straßenbahn, in der ich neben einer 15-Jährigen mit starker Beinbehaarung ausharre.

„Můžu se podívat?“, frage ich sie. Antwort erhalte ich nicht. Sei es drum. Es folgt ein kurzer Abstecher in die Café Bar, in der ich etwas lange auf meinen Cappuccino warten muss. Nach Erhalt beruhigt mich Micha beiläufig mit dem Ausspruch „Meine Latte kommt auch“. In Deckung springend visiere ich unser erstes Ziel an: die Prager Burg!

Endlich angekommen peilen wir gewohnt zielstrebig den höchsten Punkt unserer Route an und verschaffen uns erst einmal einen Überlick. Tatsächlich hält Prag eine erstaunlich imposante Impression bereit. Doch kommen wir zu dem wahrlich Wichtigen: dem Alkohol.

Denn nachdem wir uns ausgiebig mit dem größten zusammenhängendem Burgareal der Welt beschäftigt haben, auf den Spuren der alten böhmichen Herzöge und Könige wanderten, den Zweiten Prager Fenstersturz imitierten und auf den Ausbruch eines neuen 30-jährigen Konfessionskriegs warteten, aber nichts passierte, ziehen wir gelangweilt vondannen und genehmigen uns erst einmal einen Glühwein im Weingarten. Nach getaner Arbeit geht es direkt weiter in das „Goldene Gässchen“.

Voller Spannung erwarte ich den „Lapis philosophorum“ zu finden, der mich endlich auf die transzendente Stufe eines höheren Ichs katapultieren und Micha einige seiner besten Jahre zurückschenken soll – er ist schon 32 Jahre alt. Zudem soll der Stein der Weisen bekanntermaßen Disharmonien läutern, eine Eigenschaft, die sich angesichts einer zunehmenden zwischenmenschlichen Spannung unter den beiden Wanderern als besonders positiv herausstellen dürfte.

Doch er ward nicht gefunden und so ziehen wir weiter durch die Winkelgasse, bis wir etwas deutlich Effizienteres finden sollen, um die Spannung abzubauen: alte Ritterrüstungen, Folterwerkzeug, Schwerter und Hellebarden. Dass wir nicht lange zögern und uns direkt einen Kampf bis auf das Blut liefern, muss ich an dieser Stelle wohl kaum erwähnen.

Nachdem ich mich für Dreizack und Fischnetz entschied, greift mein Kontrahent zu Kurzschwert und Schild. Nach stundenlangen Drohgebärden sind wir indes völlig erschöpft und vertagen unseren Kampf. Ein Blick auf meine Sackuhr verrät mit unterdessen, dass es nun Zeit für ein klassisches Konzert sei!
Nach dem Verlassen der Alchimistengosse und auf dem Weg in die gehobenen Viertel der Prager Kulturlandschaft werden wir erneut Zeuge einer kulturellen Begegnung der etwas anderen Art.

Auf einem hell erleuchteten Platz inmitten eines Wochentages reihen sich mittvierziger Damen mit asiatischem Background auf, um einer Statue nacheinander und mit sicherem Griff an den güldenen Penis zu fassen. Nicht ganz sicher ob der Geschehnisse apparieren wir schnurstracks. Als wir im Prager Konzertsaal eintreffen und Micha mir erst einmal zeigt, wie man auf einer Miniatur-Drehorgel zu spielen hat und mir deutlich macht,

dass die Fähigkeit, den korrekten Dreh-Rhythmus anzusetzen, im Vergleich zu meinen lächerlichen Klimperfähigkeiten auf dem Klavier wohl deutlich mehr musisches Talent einfordert, freuen wir uns auf Piano, Geige und das hölzerne Querblasinstrument. Schwermütig delektieren und laben wir uns an den Klängen von Beethoven bis Charpentier, Smetana bis Vivaldi und verlassen das musikalische Paradies nur widerspenstig, um uns analog zu den akustischen Feinheiten mit fettigen Burgern und Pommes eine dekadente Wohltat der kulinarischen Art beizufügen. Guten Appetit!

Heute wird aber ein ganz ganz besonderer Tag, denn am heutigen Mittwoch geht es in das Kafka-Museum. Und da ich nach unruhigen Träumen in der Nacht diesen Morgen im Bett erwachte und mich zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt vorfand, fühlte ich mich bestens gewappnet für die eine oder andere surreale Geschichtsstunde. Also, auf geht es!

Natürlich möchte ich an dieser Stelle nicht auf die einzelnen Besonderheiten der Biographie Franz Kafkas eingehen, denen wir im Museum buchstäblich Schritt für Schritt folgen konnten. Leser eines derartig seriösen Blogs wie dem meinen wissen selbstredend über derartige literaturhistorische Fakten Bescheid. Stattdessen möchte ich die Aufmerksamkeit darauf lenken, wie wir längst Totgeglaubte wieder zum Leben erwecken. Vielleicht mag es auch ein unbewusster Drogenrausch gewesen sein, ich meine aber, Milena Jesenská leibhaftig vor mit gesehen zu haben.

Nicht ganz sicher ob meiner geistigen Gesundheit laufe ich also aus dem Museum heraus, schwinge mich über das nahestehende Geländer und lasse mich hinabfallen – ein gerechtes Urteil, wie ich finde. Glücklicherweise erhole ich mich schnell von diesem Sturz und Micha und ich entscheiden uns, Prag weiter zu erkunden, werden aber noch von einem wahrlich majestätischem Kunstwerk aufgehalten, das mich irgendwie an ein Lied von R.Kelly erinnert. Wir stolpern auf die Karlsbrücke zu und fühlen uns direkt wie böhmische Könige.

Dies mag auch daran liegen , dass wir de facto allein über die Brücke gehen – abgesehen von den 5 Millionen andere Touristen, die urplötzlich in Prag aufgetaucht sind – aber erstmal wir, warum denn ihr? Jedenfalls genehmigt uns die Goldene Stadt einmal wieder einen Ausblick, der uns Königen würdig erscheint.

Besonders fallen mir die Statuen ins Auge, die uns Adelsgeschlechtern ein angemessenes Geleit darbieten, das obendrein noch von dem Akkompagnement der Brückenmusiker akustisch untermalt wird. Wie von magischer Hand berührt zieht es mich zur nahestehenden Droschke, die von einem Fusaichi Pegasus gezogen wird. Dem Kutscher einige Liberty-Dollar zuwerfend steige ich ein und befehlige: „Kutscher, fahr mal 100!“ Doch schon reißt es mich aus meinem Traume und ich finde mich in einem dubiosen Prager Hinterviertel wieder, wo es originalgetreue Hitlermasken zu kaufen gibt. In Tschechien kommt Humor halt stets von rechts. Wenig zum Scherzen aufgelegt biegen wir gestrengen Norddeutschen nach links ab: Zeit, etwas zu essen!

Heute beschließen wir, tatsächlich einmal traditionell zu essen und besuchen ein tschechisches Restaurant. Auf der Karte bestaunen wir allerlei bunt zusammengewürfelte Köstlichkeiten wie Rinderzungen mit Knödel oder Schweinshaxe mit extra Fettschichten und Knorpel. Ja, hier wird es uns gut gehen.
Micha entscheidet sich für den Käseteller: Französischer fetter Weißschimmelkäse gebacken in heißem Fett. Mmmh, das ist lecker und gesund. Dazu gibt es noch trockene Erdäpfel. Man, man, hier kann man aber exquisit speisen. Vorzüglich!
Gestärkt entscheiden wir uns, erst einmal zurück in das Hotel zu gehen und die eine oder andere Minute zu rasten. Wie immer führe ich uns mit verlässlichem Orientierungssinn in die falsche Richtung: Im Norden geht die Sonne auf, Süd-Südost nimmt sie ihren Lauf, fernab aller Wege wird sie untergehen und in Prag ist sie nie zu sehen!

Vor dem Gang auf das Hotelzimmer und der melancholischen Stimmung, da sich das Ende unserer Reise naht, greifen wir im naheliegenden asiatichen Klimbimladen nochmal ordentlich zu und decken uns mit ausreichend Süßstoff für die eine oder andere Online-Partie ein.
Aufgeregt entdecken wir Skittles, die wir kurzerhand zu Squirtles umtaufen, weil man erst mit der richtigen Fingertechnik in der kleinen Packung an die goldene Frucht gelangt. Wer nun nicht mehr folgen kann, dem sei ein beruhigendes „Glückwunsch“ zugesprochen. Glaubt mir.
Micha, die Saufnase, entschließt sich, dass ihm zwei bis fünf Liter Bier ebenfalls gut zu Gesicht stünden. Denn was für Popeye der Spinat, für den deutschen die Kartoffel ist bekanntlich für den Polen das Bier. Wahre Wunderwerke sollte es nämlich von meinem Kumpanen aus dem Ostblock tatsächlich noch zu bestaunen geben. Doch Schritt für Schritt.

Wie der Zufall so will, haben wir das Glück, dass am heutigen Tag Champions League läuft. Und wo könnte man dies in Tschechien stilsicherer schauen als in einem Irish Pub? Nirgends natürlich. Also machen wir uns auf den Weg und steuern direkt inmitten des etwas moderneren Prager Viertels auf eine irische Prager Kneipe zu.
Dort werden wir direkt von einer jungen Dame auf einen Platz verwiesen, von dem aus wir das Bayernspiel sehen können. Am Nebentisch begröhlen uns deutschstämmige Kollegen, die, nachdem sie hören, wir würden auf einen Bayernsieg hoffen, direkt mit physischen Drohgebärden agieren. Sei es drum.
Am Nebentisch ist es auch ganz schön, bis sich drei junge Burschen zu uns gesellen, die sich im fließenden Isländisch, Englisch, Holländisch, Mandarin, Tuyuca und Estnisch verständigen. Als wir von ihnen flappsige Sprüche ernten, damit sie mit uns ins Gespräch kommen können, antworten wir mit gewohnt textsicherer Schlagfertigkeit: „No.“

Kurzerhand haben wir auch diesen Tisch zurückerobert und ich kann mich endlich ganz in Ruhe um meinen Long Island Ice Tea und das Fußballspiel sorgen. Micha, der Nöterich, mittlerweile beim achten alkoholischen Getränk angekommen, verweist auf die doch recht knapp bekleidete Bedienstete und meint, er müsse nur noch zehn weitere Cuba Libre zu sich nehmen, dann würde er mir aber einmal zeigen, wie man auch ohne Sprachkenntnisse eine Frau aufreißt.

Wissen: Was ist eigentlich ein Nöterich?
„Nöterich leitet sich von der umstrittenen Wucherpflanze, dem Knöterich, ab. Der Knöterich ist jedoch sehr robust und aufgrund seiner Wuchskraft für Spezialfälle geeignet, z. B. für große Flächen und „Schnell-Begrünungen“. Übertragen auf den menschlichen Nöterich ist folglich ein Schwerenöter gemeint, der besonders für seine blitz- und überfallartigen Schnellbegattungen bekannt ist.“

Nachdem ich noch einige wilde Wortfetzen wie „…Arsch kneten…“ und „…Brüste begatten..“ vernehme und mich wieder dem Spiel zuwende, treten einige sympathische junge und angetrunkene Männer mit Kurzhaarschnitt und Pullovern und Shirts, auf denen der einladende Schriftzug „Krawallbrüder“ zu lesen ist, in die Bar. Kurzerhand beschließen wir, Reißaus zu nehmen und ziehen vondannen in Richtung Hotel. Dies war wahrlich ein gelungener Urlaub, wie er schöner nicht hätte sein können!

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